Rudi Kost

Was ist los mit Trimmel?

Inhalt

Trimmel heiß ich

Trimmel und die Psychiater

Trimmel, das Ekel

Trimmel, dein Freund und Helfer

Trimmel, der Säufer

19. Januar 1919

Trimmel, der Profi

Trimmel und seine Leute

Edmund Höffgen

1. April 1945

Gaby Montag

Trimmel lacht

Anhang

Trimmel im Buch

Trimmel im Fernsehen

Erschienen 1986 in der Reihe "Kabinett der Detektive", Poller Verlag
ISBN 3-87959-266-7
© Rudi Kost

 

Vergriffen; gebraucht erhältlich zum Beispiel bei:

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1. April 1945

Das Lagebuch des Wehrmachtsführungsstabes begnügte sich mit einem knappen Satz: "Gegen Hamburg 300 Briten; dabei weitere Abschüsse." Was war das schon. Zwischen dem 24. Juli und dem 3. August 1943 waren die amerikanischen und britischen Flugzeuge Welle um Welle gekommen, bei Tag und bei Nacht, sie hatten 165 000 Bomben abgeworfen, und über Hamburg fegte ein gewaltiger Feuersturm hinweg, übrigens der erste des Krieges, nicht ganz so entsetzlich wie später der in Dresden, aber schlimm genug. 50 000 Hamburger verloren in diesen elf Tagen ihr Leben, mehr noch ihr Hab und Gut. Die Hansestadt bestand nur noch zur Hälfte. Die andere war zerstört oder beschädigt.

Am 1. April 1945 machte man sich nicht einmal mehr die Mühe, die Bomben oder die Toten zu zählen. 300 Briten am Himmel: das war, beinahe, Alltag geworden, kam und ging wie der Hagelschlag. Längst war man in die Apathie verfallen, erschöpft, ausgehungert, mutlos. Höchstens zählte man die Tage, bis dieser gottverdammte Krieg endlich vorüber sein würde. Im Westen, so hatte man gehört, standen die Allierten bei Loccum, Münster, Bielefeld, Hamm. Es schien wirklich nur noch eine Frage von Tagen zu sein.

Als die Sirenen an jenem Tag heulten, flüchtete auch ein junges Mädchen in den Luftschutzkeller. Sie hatte es nicht weit, gerade eben um die Ecke, und sie machte sich keine allzu großen Sorgen. Die Straße, in der sie wohnte, ja das ganze Viertel, war weitgehend zerstört, eine Folge der schrecklichen Operation "Gomorrha" zwei Jahre zuvor; ein Wunder, daß es überhaupt noch Wasser und Gas gab, manchmal wenigstens.

Es war kaum anzunehmen, daß die Bomber hier nochmals abladen würden; wozu auch. Es gab keine Industrie in der Gegend, zum Hafen war es weit, und die Trümmerhaufen abermals umzugraben, hatte bestimmt keine strategische Bedeutung. Man mußte das über sich ergehen lassen, wie den Regen, und abwarten. Was blieb auch anderes übrig.

Aber es kam anders. Vielleicht hatte die viermotorige Lancaster noch eine Bombe übrig, vielleicht hatte der Pilot sich auch nur vertan, jedenfalls war es ein Volltreffer. Sie hörten die Luftmine, ein seltsam anderes Geräusch inmitten des jaulenden, brüllenden, tobendes Infernos, und die Angst kroch in ihnen empor, und bevor sie recht mitbekamen, was eigentlich los war, war es schon vorbei. Man hörte noch hie und da Schreie – sofern man sie überhaupt hörte bei all den Bombeneinschlägen rings umher –, aber die meisten der 34 Menschen in dem Schutzraum waren sofort tot, zerfetzt von der Mine, erschlagen von den Steintrümmern. Es gab keine Rettung mehr, auch nicht für Ilse.

Ilse Ritter. Blond, aber nicht blauäugig, gerade eben zweiundzwanzig Jahre alt, etwas füllig, doch ansonsten gut gebaut, mit beachtlicher Oberweite zumal, immer fröhlich und sehr, sehr lieb.

Paul Trimmel, nach Auskunft seines hier auch nicht sonderlich gesprächigen Biographen irgendwo im Westen darum bemüht, den Krieg weiterhin halbwegs mit Anstand hinter sich zu bringen, nachdem er es die ganze Nazi-Zeit geschafft hatte, sauber zu bleiben, erfuhr es erst geraume Zeit später. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie schon längst geheiratet. Aber Ilse, ganz und gar nicht darauf versessen, diesem böhmischen Gefreiten neue Helden zu gebären, wollte von einer Kriegstrauung nichts wissen. "Wart man, bis wir den Zauber hinter uns haben", hatte sie gesagt, und Trimmel, der auf Staatskosten durch halb Europa marschieren mußte, war's im Grunde recht. Sie hatten noch genügend Zeit. Danach.

Jetzt gab es kein Danach mehr. Jetzt war selbst die Aussicht auf das baldige Ende, das ein Neubeginn werden sollte, trostlos. Was sollte er anfangen mit seiner Zukunft? Ohne Ilse, mit der man so herrlich herumalbern konnte? Die so anschmiegsam gewesen war und keineswegs so züchtig, wie es einem braven deutschen Mädel ziemte? Die vielleicht sogar, sie hatte in ihrem letzten Brief, halb erschreckt und halb erfreut, so etwas angedeutet, ohne zu dem Zeitpunkt schon letzte Gewißheit zu haben – die ganz bestimmt seine Tochter unterm Herzen trug?[1] (Natürlich würde es eine Tochter werden, er wollte doch keinen Sohn, der dann später auch irgend einem Führer hinterdrein zu rennen hätte!)

An diesem 1. April, als für den Leutnant wider Willen Paul Trimmel eine Welt zusammenbricht, kommt der Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels, ohne von den Gefühlen des Volksgenossen Trimmel zu wissen, in seinem Tagebuch nicht um die nüchterne Feststellung herum, daß die Moral sowohl bei der Bevölkerung als auch bei der Truppe außerordentlich abgesunken und die Ernährungslage außerordentlich schwierig sei.

Trotzdem schreibt er seinem ehemaligen persönlichen Referenten Georg Wilhelm Müller, zu jener Zeit als Wachhund beim Oberbefehlshaber West und allmählich auch voller Zweifel am Endsieg, in einem geharnischten Brief hinter die Ohren, die Bevölkerung habe mit einer "bravourösen Haltung" alle Luftangriffe über sich ergehen lassen.

Natürlich weiß er auch gar nichts von Trimmel und Ilse Ritter, und es hätte ihn auch nicht interessiert. Er hat Wichtigeres zu bedenken. Er ist ja jetzt dabei, notiert er, den Rundfunk von Grund auf zu reformieren und ein neues Statut für die Presseführung ausarbeiten zu lassen.

 *

"Klar, das war ein fürchterlicher Schock", sagt Dr. Lorff, "aber ich bitte Sie, Herr Trimmel, wenn jeder, der damals ..."

"Ich bin nicht jeder", knurrt Trimmel verbiestert.

"Natürlich nicht", spottet der Arzt, "Sie sind ein Unikat in der Schöpfungsgeschichte."

"Werden Sie nicht albern, Doktor", sagt Trimmel, der gerade jetzt wenig Sinn für Scherze zu haben scheint, schon gar nicht, wenn sie auf seine Kosten gehen.

"Jedenfalls haben Sie damals, nach diesem zugegeben harten Schlag, zumindest zeitweilig beschlossen, den Weibern sozusagen abzuschwören?"

"Na, abzuschwören nicht gerade ... aber gut, ich bin Junggeselle geblieben – das ergab sich so."

"Aber irgendwann wurden Sie wankelmütig? Es gab doch da, meine ich, auch später mal eine Verlobte?"

"Ging schnell wieder vorbei", sagt Trimmel. "Zum Henker, jeder hat mal so seinen Tick, häusliche Anwandlungen und so."

"Mal ganz direkt gefragt", sagt Dr. Lorff, eigentlich mehr, um Trimmel aus der Reserve zu locken, "auf die Idee, daß Sie vielleicht eine winzige homosexuelle Komponente ..."

Wider Erwarten reagiert Trimmel nachdenklich. "Naja, es wurde da sogar mal, wenn auch ohne Grund, getuschelt. Und ich hätte mich ja eigentlich auch schon selber fragen müssen, ob ich nicht wie falsch gepolt wirke. Nachdem so gar nichts Bestand hatte mit den Weibern ..."

Dr. Lorff lächelt. "Lassen wir das. Es ist nichts dran. Das ganze ist offenbar nur ein Problem Ihrer Generation. Wer als gestandener Mann nicht verheiratet ist, hat entweder eine Macke oder ist ein Wüstling – oder er gilt als ... naja, etwas schwul. Heute hätten Sie’s als Single viel einfacher. Aber das sind Sie ja nun nicht mehr ..."

"Nee", sagt Trimmel und lacht dabei, "nee, Gott sei Dank kam Gaby."



[1] Das, letzten Endes, wird es auch gewesen sein, weshalb Trimmel Max Bergusson so viel Verständnis entgegenbrachte (siehe "Ohne Landeerlaubnis"). Auch dessen Frau war schwanger, als sie dem Attentat zum Opfer fiel.