Rudi Kost

Was ist los mit Trimmel?

Inhalt

Trimmel heiß ich

Trimmel und die Psychiater

Trimmel, das Ekel

Trimmel, dein Freund und Helfer

Trimmel, der Säufer

19. Januar 1919

Trimmel, der Profi

Trimmel und seine Leute

Edmund Höffgen

1. April 1945

Gaby Montag

Trimmel lacht

Anhang

Trimmel im Buch

Trimmel im Fernsehen

Erschienen 1986 in der Reihe "Kabinett der Detektive", Poller Verlag
ISBN 3-87959-266-7
© Rudi Kost

 

Vergriffen; gebraucht erhältlich zum Beispiel bei:

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Trimmel lacht

Da steht er nun also, in seiner ganzen Massigkeit, und wirklich, er lacht vor sich hin. Nicht hämisch, schon gar nicht scheinheilig, sondern fröhlich. Wenn ihn seine Leute so sehen könnten ...

Er lacht, aus vollem Herzen, und stellt sich vor, wie er das, was Dr. Lorff ihm auseinandergesetzt hat, in einem seiner Abschlußberichte formulieren würde, in den simplen Sätzen des Polizisten Trimmel ...

Oberflächlich gesehen trifft auf T. das Klischee "rauhe Schale, weicher Kern" zu. In Wahrheit jedoch war auch das Innere des T. verhärtet.

Anfangs war sein vorsätzlich ruppiges Wesen sicher ein Schutz, um seine Empfindsamkeit zu verbergen. Durch seine zur Schau getragene Herzlosigkeit – andere Kollegen greifen in solchen Fällen zum Zynismus – wurden juvenile Traumata und Kriegserlebnisse ebenso getarnt und überlagert wie die Belastungen, die der berufsmäßige Umgang mit Leichen und psychotischen Tätern mit sich bringt.

Daraus entstand eine Art Image, das sich verselbständigt hat und sich auch verselbständigen konnte, weil die beruflichen Erfolge ihm das Recht auf Eigenbrötlerei gaben.

Der zunächst nur gespielte äußere Anschein der Ruppigkeit hat indessen schleichend Besitz von T. ergriffen, ohne daß er dessen gewahr wurde. Er stellte sich nicht mehr nur so dar, er war, begünstigt durch sein bewußt gepflegtes Einzelgängertum, tatsächlich so, er hatte es geradezu verlernt, Gefühle zu zeigen, ohne daß allerdings sein im Grunde gütiges Herz ganz zugeschnürt wurde.

Auf diese Weise wehrte er sich unbewußt dagegen, daß sein innerstes Wesen bloßgelegt werden könnte – der wahre T., der sich durch enorme Verständnis- und Mitleidensfähigkeit auszeichnet.

Dafür gibt es eindeutige Beweise. T. ist geneigt, Tätern zu helfen, sofern deren Tat auf eine emotionale Grenzlage zurückzuführen ist, und bereit, dafür auch Beweismaterial zu vernichten. Es deprimiert ihn, wenn seine Hilfe umsonst war.

Im Falle Landsberger/Billsing[1] betätigt sich T. weniger als Ermittler in einem Kapitalverbrechen, sondern als Samariter, was durch den Umstand gefördert, wenn nicht gar ausgelöst wird, daß ihn Eva Billsing an seine im Krieg umgekommene Freundin erinnert. Die Geschehnisse von 1945 hat T. nur verdrängt, nicht verarbeitet. Die Begegnung mit Eva Billsing hat eine Wunde aufbrechen lassen, die nicht verheilt war.

Als sei er dieserhalben über sich selbst erschrocken, benimmt er sich – man wird auch das als einen psychischen Abwehrmechanismus ansehen müssen – im nachfolgenden Fall Beerenberg[2] ruppiger denn je, auch und gerade gegenüber Gabriele Montag, obwohl er sich von Anfang an zu ihr hingezogen fühlt.

Aber er will das nicht wahrhaben. Er wehrt sich – zum einen unbewußt gegen eine dauerhafte Beziehung, weil er nicht das Risiko einer gefühlsmäßigen Bindung und eines ja immer möglichen erneuten Trennungsschocks eingehen will, zum anderen hat er auch Angst davor, daß Gaby M. in sein Innerstes einbricht und seine Schutzwälle niederreißt, wodurch sein sorgsam aufgebautes Selbst-Bild in Frage gestellt wäre.

Obwohl sich die Beziehung mit Gaby M. dann doch wider Erwarten glücklich gestaltet, bringt ihn selbst die neue Lebensgefährtin in psychische Bedrängnis.

Sie öffnet ihn, es gelingt ihr tatsächlich, seine innere Verhärtung wenigstens teilweise aufzubrechen, aber das bringt zugleich sein Image in Gefahr, das, nach außen hin, ja die Persönlichkeit Trimmel ausmacht.

T. gerät dadurch in eine schizoide Lage: wenn er sich zu sich selber bekennt, muß er sich aufgeben. Er muß erst einen neuen Standpunkt zu sich selber finden, ehe er wieder als – dann andere – Persönlichkeit in Erscheinung treten kann. Er muß, volkstümlich gesagt, erst mit sich selber ins Reine kommen.

In der Folge davon gibt er sich, obwohl innerlich bereits ruhiger und sanfter geworden, nach außen immer noch so grob wie gewohnt, vielleicht sogar noch gröber, was erneut eine zwiespältige Situation heraufbeschwört, da T. inzwischen zu seinem ursprünglich akzeptierten Erscheinungsbild, seinem Image, auf Distanz gegangen ist.

Dieser schwierige, lang andauernde Prozeß der psychischen Erneuerung wurde entschieden in Frage gestellt, als Edmund Höffgen, Kollege und Freund des T., in einem offensichtlichen Affektsturm seinen Dienst zu privaten und gesetzwidrigen Aktionen mißbrauchte.[3] T. mußte sich vorwerfen, daß sein Verhalten Höffgen gegenüber für dessen Tat zumindest mitursächlich gewesen war und daß er sich jedenfalls nicht in der Lage gesehen hatte, Höffgens schwierige Situation zu erkennen und ihr, als Vorgesetzter und Freund, abzuhelfen. Erschwerend kam hinzu, daß T. in Höffgen den Sohn sah, den er nie hatte; er hatte also auch einen persönlichen Verlust erlitten. Er empfand sich als Versager und verfiel immer deutlicher in depressive Phasen.

Die Frage der Schuldunfähigkeit nach Paragraph 20 StGB ist hier sicherlich zu diskutieren. Eine Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus Rietbrook wäre möglicherweise zu empfehlen.

So weit, sagt sich Trimmel, ist es dann ja doch nicht gekommen. Er ist einerseits natürlich überhaupt nicht ausgeflippt – und er hat, zum anderen, Dr. Lorff ja schon immer wahre Wunder zugetraut.

Er denkt daran, wie es war, damals nach dem Krieg, als ihm das Leben so leer und sinnlos vorgekommen war. Er erinnert sich, wie er seinerzeit, nur um sich abzulenken, in einen halbprivaten literarischen Abend geraten war. 1946 oder 1947 mußte das gewesen sein. Ein Schauspieler, von dem er noch nie gehört hatte, las aus eigenen Werken. Wie dieser Wolfgang Borchert erzählte vom Elend des Krieges und der Zeit danach, traf Trimmel mitten ins Herz, und er wünschte nur, daß alle diese Stimmen hören sollten. Als 1952 der Bundestag die Vorschläge des Amtes Blank für die Wiederbewaffnung billigte, schloß sich auch Paul Trimmel den Protesten an, obschon er geschworen hatte, sich nie mehr mit der Politik einzulassen. Er war enttäuscht und verbittert, der unterdessen bekanntere Wolfgang Borchert wurde nur noch als literarisches, nicht als moralisches Ereignis gefeiert, und Trimmel verschanzte sich mehr und mehr hinter seiner Grämlichkeit. Trimmel, der Bullerkopf.

Vorbei, wenn auch nicht vergessen. Seine Leute, denkt er ein ums andere Mal, werden staunen, wenn sie ihn so verändert sehen. Trimmel, der alte Elefantenbulle, der sich öfters wie ein Kamel benommen hat, ist zu einem zahmen – ja was geworden? Einem Schaf? Einem gutmütigen Ochsen? Der Platzhirsch jedenfalls ist er geblieben, das macht ihm keiner streitig.

Und Höffgen, dieses Arschloch, denkt er, geradezu zärtlich ... Dem muß ich doch irgendwann Abbitte leisten, wenn er mir mal über den Weg läuft.

Dazu ist dann auch bald Gelegenheit. Ein Geldtransporter wird überfallen, die Sache stinkt zum Himmel, garantiert hat einer der beiden Fahrer seine Finger drin ... und einer der beiden ist, ausgerechnet, Höffgen – der Ex-Bulle, der schon einmal ein krummes Ding gedreht hat.

Aber Trimmel, der neue Trimmel, hat seine Lektion gelernt. Diesmal vertraut er Höffgen, und er vertraut auch dessen immer noch wachem kriminalistischen Instinkt. Und Höffgen liefert ihm auch tatsächlich die Hintermänner auf dem Silbertablett.[4]

So ist dann doch alles wieder in schönster Ordnung. Nur seine Leute, die wundern sich manchmal immer noch über den Alten. Sie hatten ihn doch so gut gekannt, glaubten sie, aber nun ...

Es dauert seine Zeit, bis man ein festgefügtes Bild aus dem Kopf kriegt.



[1] Siehe "Taxi nach Leipzig".

[2] Siehe "Der Richter in Weiß".

[3] Siehe "Hände hoch, Herr Trimmel!"

[4] Siehe "Wer einmal lügt".